Vor drei Jahren rief mich eine Journalistin an und fragte mich, ob ich an einer Dokumentation über Bretonische Krimis interessiert wäre. Klar dachte ich, warum nicht. Als wir uns dann in Perros-Guirec in einem Restaurant trafen, erklärte sie, dass sie eigentlich eine Dokumentation über deutsche Autoren machen wolle, die über die Bretagne schreiben, am besten Krimis und es soll natürlich um die Landschaft gehen, das Meer, die bretonische Küche, die Menschen und die Kriminalfälle, die Jean-Luc Bannalec, alias Jörg Bong, in seiner Buchreihe bretonischer Krimis erzählte. Eigentlich sollte es, wie ich später erfuhr, nur um Jörg Bongs Buchreihe gehen, in der Kommissar Dupont ermittelt. Die Sache fühlte sich etwas schräg an, wie Interviews, bei denen das Gesicht mit einem schwarzen Balken verdeckt und die Stimme verzerrt ist. Das Storyboard hatte die Journalistin vielleicht überschrieben mit: Interview mit Jörg Bong, aber ohne Jörg Bong. Ich sollte also für die Dauer von zwei Drehtagen in die Rolle von Jörg Bong schlüpfen und so tun, als würde ich an seiner Stelle, über seine bretonischen Krimis sprechen. Ich dachte mir: du bist ein Autor, der einen Autor spielt. Du sollst Jörg Bong spielen, ein Autor, der zu diesem Zeitpunkt sich bester Gesundheit erfreut und in Berlin wahrscheinlich gerade beim Abendessen sitzt und sich Notizen für einen neuen Fall seines Kommissars Dupont ausdenkt. Und da bin ich, eintausendsechshundert Kilometer entfernt und beantworte an seiner Stelle Fragen, über seine bereits geschriebenen Bücher und solche, die er noch schreiben könnte. Naja, bei ARTE ist vieles möglich, auch magischer Surrealismus. Es gab sicherlich mehrere Gründe, das Interview mit der Journalistin abzubrechen. Einer davon war, dass ich Jörg Bongs, alias Bannalec, nicht kannte. Ich war also wie ein Schauspieler, der seinen Text nicht kannte. Es half mir auch wenig, dass ich zu diesem Zeitpunkt meinen Roman „Das Gedächtnis der Insel“, der auf einer bretonischen Insel spielt, abgeschlossen hatte. Der Roman erschien dann bei Randomhouse, Blessing-Verlag. Wir machten das Interview trotzdem.
Erst zwei Monate nach den Dreharbeiten zu der ARTE-Doku, die unter der Rubrik, Stadt-Land-Fluss, ausgestrahlt wurde, las ich den ersten Roman aus der bretonischen Krimiserie, die Jörg Bong unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec verfasst hatte. Bannalec ist nebenbei auch eine kleine Gemeinde in der Nähe der Stadt Concarneau. Ich war überrascht mit welcher Hingabe Jörg Bong Landschaften in seinen Beschreibungen eingefangen hatte. Die Romanserie wird zwar unter „bretonischer Krimi“ verkauft, doch es handelt sich eigentlich um eine fotografische Liebeserklärung an eine Landschaft, bei der der Leser am Anfang über eine Leiche stolpert. Blaue Meeridylle mit Leiche.
Jörg Bong hat den Blick eines Landschaftsmalers und ich glaube, dass er sogar noch eine vierspurige Schnellstraße, die einen Wald in zwei Hälften schneidet, mit einem sanften Aquarelltouch skizzieren könnte. Nur war das nicht meine Bretagne, in der ich lebe. Wer in das Idyll eindringt, zerstört es, lernt aber auf der anderen Seite, welche Faszination zum Beispiel von Naturgewalten ausgeht. Doch neben den Stürmen und Springfluten, neben versteckten Dörfern, die aussehen als wären sie die Kulisse für den nächsten Herr der Ringe Film, gibt es noch eine andere Bretagne. Ich wohne in einem kleinen Dorf an der bretonischen Nordküste und obwohl mir die karge und manchmal marsähnliche Landschaft nicht entgeht, die Felslabyrinthe, die bei Ebbe wie aus dem Nichts aus dem Meer auftauchen, wenn man an der Küste entlangsegelt, sehe ich eine Wirklichkeit, die weniger in touristische Reiseprospekte passt.
Die ersten Notizen zu einem Kriminalroman, der im Norden der Bretagne spielt, übernahm ich aus einem Zeitungsbericht. Der französische Geheimdienst hat in einer kleinen Gemeinde einen Menschenschmugglerring hochgenommen. Albanische Mafia und Fischer, die statt Hummer Migranten über den Kanal brachten. Fischer, die nicht fischen und Politiker, die nicht das tun, was sie vorgeben zu tun. Dass Politiker lügen und sich einen feuchten Dreck, um ihre Wähler scheren, das ist mir nicht neu, doch das Ausmaß der Vernetzung überraschte mich dann doch. Ein toter Flüchtling, den die Strömungen wieder an die französische Küste brachten und dann immer wieder die Meldungen von gesunkenen Schlauchbooten und geflickten, kaum schwimmfähigen Kähnen, die für immer im eisigen Wasser des Ärmelkanals versanken. Das Flüchtlingscamp in Calais ist zwar geographisch nicht in der Bretagne, doch die Fischer, die für die albanische Mafia Menschen schmuggelten, brachte den „Jungle“, wie das Camp in Calais genannt wird, auch in unser Fischerdorf, das Touristen normalerweise für ihre Selfies verwenden. Ja, was hat Steven Jobs und das Flüchtlingscamp in Calais gemeinsam? Darum geht es unter anderem in meinem bretonischen Kriminalroman „Der Dachs.“ Wie auch der „Dachs“ zu meiner Bretagne gehört, genauer gesagt, eine besonders brutale Jagd auf ihn. Tierschutzorganisationen fordern seit Jahren das Verbot dieser Jagdpraktik. Doch in Frankreich ist die Jagd heilig und erst recht in der Bretagne. So kam ich zu meiner Hauptfigur: Ronan Prad. Ein bretonischer „Flic“, der auf einem Boot lebt und dem das Leben eines Dachses ebenso am Herzen liegt wie das Leben der Menschen. Wer kümmert sich um einen Dachs? Wer ergreift Partei für Tiere? Für wen ist Gerechtigkeit etwas, das über die geschriebenen Gesetze eines Staates hinausgeht? Wer verachtet die Menschen und liebt sie gleichzeitig? All diese Gegensätze finden sich in meinem Ermittler wieder, ein „flic-fatal“, bretonischer Macho, schweigsamer Einzelkämpfer, dem kein Kampf zu viel ist, wenn es um eine gerechte Sache geht.